Ein Haus aus Stroh

Im kleinen niedersächsischen Örtchen Erbsen entsteht momentan ein Gemeinschaftshaus aus einem ungewöhnlichen Material: Stroh. Eine historische Bauweise lebt hier durch moderne Technik neu auf.

Die Idee für das Projekt stammt von der angehenden Architektin Anna Dienberg, die im Sommer das Masterstudium Architektur an der Kunstuni Linz abgeschlossen hat. „Im Rahmen eines Seminars bin ich auf einen lasttragenden Strohballenbau in Österreich gestoßen und fand die Bauweise von Anfang an spannend“, erklärt sie. Zusammen mit Heike Bröll und Monika Dienberg vom Büro bröll & dienberg architektinnen schlug sie die Bauweise für das Dorfgemeinschaftshaus vor.

Das Projekt hat Vorbildcharakter für den modernen Strohballenbau und traf bei den Entscheider*innen auf offene Ohren. Die barrierefreie Begegnungsstätte soll dem Dorf und seinen Nachbarorten mit einem 80 Quadratmeter großen Veranstaltungsraum und einem kleineren Jugendraum als Treffpunkt dienen. Events, Feiern, Ortsratssitzungen, Wahlen, Seminare und sogar Yogastunden sollen hier nach der Fertigstellung im Frühsommer 2025 stattfinden.

Die lasttragende Strohballenbauweise ist energieeffizient und bringt eine hervorragende Dämmung mit sich. Außerdem ist das Material kostengünstig, umweltfreundlich und lokal verfügbar. Gerade in ländlichen Regionen, wo Stroh als Nebenprodukt der Landwirtschaft anfällt, bietet es sich als ökologisch sinnvolle Alternative zu herkömmlichen Baustoffen an.

In Erbsen werden einige der anfallenden Arbeiten am Gebäude außerdem in Eigenleistung der Dorfgemeinschaft erbracht. Das senkt nicht nur die Kosten, sondern stärkt auch den Zusammenhalt. „Einer der schönsten bisherigen Momente war, als die Kleinballen für die Dachdämmung geerntet wurden. Viele Freiwillige haben mitgeholfen, die rund 700 Strohballen zu sammeln, auf Hängern zu stapeln und ins Lager zu fahren. Es war schön zu sehen, wie so viele helfende Hände im Rahmen einer gemeinschaftlichen Aktion einen Beitrag zum künftigen Dorfhaus geleistet haben“, so Dienberg.

In den letzten Jahren erlebt der Strohballenbau eine kleine Renaissance. Verschiedene Architekt*innen arbeiten daran, die Bauweise wieder bekannter zu machen. Durch moderne Methoden und Materialien wird sichergestellt, dass die Häuser nicht nur den heutigen Vorschriften entsprechen, sondern auch hohe Energieeffizienz und Langlebigkeit garantieren. Die lasttragende Strohballenbauweise bietet eine hervorragende Isolation und ist extrem widerstandsfähig gegen Feuchtigkeit und Feuer, was viele Bauherr*innen überrascht.

Noch ist die nicht allgemein anerkannte Bauweise mit einem ungeregelten Bauprodukt allerdings auch eine Herausforderung. Anna Dienberg kann das bestätigen: „Die Abläufe erfordern einen erhöhten Planungs- und Organisationsaufwand, in dessen Rahmen Gutachten eingeholt und Prüfungen durchgeführt werden müssen.“ Die dadurch anfallenden Kosten relativieren die geringen Kosten des Baumaterials. Eine Stellschraube, an der die öffentliche Hand in Zukunft drehen sollte.

Projekte wie dieses könnten nämlich bald auch in anderen Regionen Schule machen und dazu beitragen, dass der Strohballenbau zu einer verbreiteten Alternative im modernen Bauwesen wird. Das Erbsener Gebäude soll als Modellprojekt für andere Gemeinden fungieren, die nach ökologischen Baumethoden suchen.

Und wie altert so ein Bau? Die ersten lasttragenden Strohballenbauten entstanden schon um 1900 in den USA. Sie waren zunächst als temporäre Bauten gedacht, stehen aber zum Teil noch heute. „Weil die Qualität der Ballen mit den heutigen Möglichkeiten erheblich verbessert wurde, können wir von einer vergleichbaren Lebensdauer ausgehen,“ sagt Anna Dienberg. Über das Gemeindehaus in Erbsen dürfen sich also noch einige Generationen freuen.