Die Stadt als Rohstofflager

Das Rathaus Korbach entstand nach dem Urban-Mining-Prinzip. Ein Gespräch mit Projektleiter Marc Matzken über kreislaufgerechtes Bauen.

Herr Matzken, Sie waren mit ihrem Bau des Rathaus Korbach Ende letzten Jahres unter den vier Finalisten des Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur – Glückwunsch nachträglich! Wer war alles involviert?
 Unser Büro heimspiel architekten hat sich für den bereits 2017 ausgeschriebenen Wettbewerb mit dem Architekturbüro agn zusammengeschlossen und zwecks der gemeinsamem Ausführung als Projektgemeinschaft eine ARGE gegründet. Christian Thomann übernahm bei agn die Projektleitung, ich bei heimspiel architekten.

Wie sah das Projekt aus? 
Das Rathaus Korbach bestand aus einem historischen Gebäudeteil aus dem 17. Jahrhundert in sehr exponierter Lage in der Altstadt. An das mittelalterliche Rathaus war ein Anbau aus den 60er-Jahren angeschlossen – ein Kind seiner Zeit. Das  Betongebäude war städtebaulich sicherlich nicht die richtige Antwort als Anbau an das historische Gebäude an diesem Ort. Es verengte Blick- und Wegebeziehungen und passte nicht recht in den Kontext. 50 Jahre nach der Errichtung wurde der Abriss beschlossen – wir legten ein Konzept für einen neuen Anbau vor.

Sie setzten dabei auf das Urban-Mining-Prinzip. Was bedeutet das? 
Urban Mining versteht den Gebäudebestand als Rohstofflager. Es geht um die Rückgewinnung von Rohstoffen durch die Aufarbeitung bestehender Güter einer Stadt, einer Umgebung oder eben eines Objekts. Beim Rathaus Korbach war es der Leiter des Bauamtes Stefan Bublak, der die Idee aufbrachte, mit der Substanz des Gebäudes zu arbeiten – im Sinne der Ressourcenschonung und um Fördergelder zu generieren.

Wie haben Sie das Prinzip beim Rathaus Korbach angewendet?
 Anja Rosen von agn hat ein Konzept ausgearbeitet, wie man die Bausubstanz als urbane Mine nutzen kann. Danach mussten wir uns zunächst mit dem Bestand beschäftigen und genaue Untersuchungen vornehmen lassen, welche Materialien in welcher Qualität und Quantität zur Verfügung standen. Das Gebäude bestand zu über 90 Prozent aus Beton, wovon möglichst viel in den Neubau überführt werden sollte. Vieles davon war in einer Qualität vorhanden, die sich für die Bodenplatte eignete, weniger Beton konnte für hochbelastete Bauteile wie Decken, Wände und Stützen genutzt werden. Wir haben anhand dieses Wissens die Planung angepasst und die Bauteile dahingehend optimiert. So konnte beispielsweise die Bodenplatte aus WU-Beton ohne Abklebungen ausgeführt werden. Die roten Dachziegel eines kleinen Nebengebäudes etwa wurden aufgearbeitet und als rote Sprenkel in die neue Fassade eingebracht.

Was war die größte Herausforderung? 
Der Rückbau war sicherlich aufwendiger als sonst – da kann man nicht einfach mit dem Bagger durchfahren und alles abreißen. Der Rückbau musste selektiv erfolgen, Materialien mussten nach Qualität analysiert und Bauteile sortiert werden. So etwas dauert lange und muss fachgerecht begleitet werden.

Auf welches Wissen konnten Sie beim Bau zurückgreifen? 
Arbeiten mit Recyclingbeton gibt es schon seit über 20 Jahren. Welche Qualitäten wofür verwendet werden dürfen – dafür gibt es Norm-Werte. Das war komfortabel. Neu am Rathaus Korbach war, dass es das erste Gebäude in Deutschland ist, bei dem der Beton des Vorgängergebäudes in einen Bau mit gleicher Funktion am selben Ort floss.

Konnten Sie aus den Erkenntnissen etwas für den Neubau lernen? 
Wir haben viel über kreislaufgerechtes Planen gelernt, weil wir uns so intensiv damit beschäftigten, was vom Vorgängerbau wie weiterverwendbar war. Ein Beispiel: Wenn eine Wand verputzt ist, muss der Putz abgeschlagen werden, weil der Beton sonst nicht in der richtigen Qualität zur Verfügung steht. Das heißt: Wir wussten, wann Beton besser recycelbar ist. Das haben wir in die Planung des Neubaus eingebracht – um das Gebäude kreislaufgerecht zu errichten. Fenster, Anschlüsse, Decken- und Dachaufbauten wurden so ausgeführt, dass alles irgendwann einmal möglichst sortenrein trennbar in die Wertstoffkreisläufe übergehen kann. So dient das Rathaus auch zukünftigen Generationen wieder als urbane Miene.

Wieviel nachhaltiger ist diese Bauweise im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren? 
Im Nachgang wurde ein Gutachten für das Ministerium für Klima, Umwelt, Landwirtschaft und Verbraucherschutz angefertigt. Die Auswirkung auf den CO2-Fußabdruck fiel leider ernüchternd aus – sie liegt etwa bei zwei bis vier Prozent unter dem herkömmlicher Bauten. Dem Recyclingbeton muss dieselbe Menge an Zement zugefügt werden – die Industrie beschäftigt sich derzeit mit Lösungen für dieses Problem. Man spart zwar am Primärmaterial, nicht aber am Zement und dort liegt der hohe CO2-Fußabdruck. Wir konnten den Fußabdruck dennoch etwas verringern, weil lange Transportwege entfielen. Beim Primärmaterial fallen die Zahlen eindrucksvoller aus. Der Vorgängerbau hatte 9.000 Tonnen Beton, davon konnten wir über 6.000 in den Neubau überführen.

Welche Erkenntnis ergibt sich daraus für Sie?
 Neubauten sollten im Sinne der Kreislaufwirtschaft so geplant werden, dass sie möglichst verklebungsfrei ausgeführt werden. Dieses Bewusstsein sollte geschärft und Kreislaufdenken ein Automatismus werden. Dafür müssen alle Beteiligten sensibilisiert werden.