Raum für Neues

Früher Gefängnis, heute Hotel: Das Berliner Wilmina ist ein bewegendes Beispiel für gelungene Nachverdichtung

Nachverdichtung heißt das Zauberwort vieler Städte. Denn dort, wo Bauflächen kaum noch vorhanden sind, muss wohl gezaubert werden, um Platz für den Menschen zu schaffen – oder eben nachverdichtet. Der Terminus beschreibt die Transformation von Baulücken und Restgrundstücken in Wohnungen, Häuser und andere Lebensräume. Wo der Boden belegt ist, geht die Planung in die Senkrechte und Dächer werden aufgestockt oder zumindest ausgebaut. Interessant ist aber auch eine andere Variante der Erschließung neuer Räume: Die Umwandlung zuvor vollkommen anders genutzter Immobilien – beispielsweise die von Gefängnissen.

In Berlin wurde eine solche Transformation gerade erfolgreich abgeschlossen. Die Architekten Grüntuch Ernst haben das ehemalige Charlottenburger Frauengefängnis zum Hotel Wilmina und Restaurant Lovis sowie das ausgediente Gerichtsgebäude nebenan in den Kunst- und Kulturraum Amtsalon verwandelt. Um mit der Geschichte des Ortes im Dialog zu bleiben, gingen die Planer mit Feingefühl vor. Eine der Herausforderungen: die Raumkonfiguration und ihre Bedeutung umzukehren und aus einem antisozialen Raum einen einladenden Ort zu machen.

Ein gutes Beispiel dafür sind die Fenster. Sie ließen vor dem Umbau zwar Tageslicht 
in die Räume, waren aber so hoch in die Wand eingelassen, dass ein Ausblick kaum möglich war. Typisch Gefängnis eben. Um den Raum für die neue Nutzung zu öffnen, erweiterten Grüntuch Ernst die Aussparungen nach unten und legten den Blick auf den Hof frei. Auch an anderen Stellen konnten die bestehenden Strukturen durch eine sensible Intervention mit gezielten Öffnungen, Aufbauten, Überlagerungen, Verschiebungen und Durchdringungen erweitert, verbunden und neu programmiert werden.

Konzeptionell passend schlägt sogar die Materialwelt des Hauses einen Bogen aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Wo immer möglich, fanden Bestandselemente Wiederverwendung und wurden mit Bedacht neu konfiguriert. Selbstverständlich mussten aber auch neue Materialien her. Mit ihnen wurden aus Gefängniszellen Gästezimmer – von gemütlichen Schlafkojen bis hin zum großzügigen Garden Loft mit 75 Quadratmetern im ehemaligen Versammlungsraum.

Kein Raum gleicht dem anderen, aber in allen erzeugen helle Farben, weiche Texturen und warme, hochwertige Materialien beruhigende Rückzugsräume. Trotz dieser Gemeinsamkeiten ist jedes Zimmer ein Unikat. Wer sich darin aufhält, kommt kaum umher über die Historie des Ortes nachzudenken. Durch das Zusammenkommen von spürbarer Authentizität und modernem Luxus wird gerade aber eine neue Geschichte geschrieben.

Besonders zeitgenössisch kommt das ausgebaute Penthouse-Geschoss daher. Hier gibt es klare Linien und dank bodentiefer Fenster die beste Aussicht auf die Höfe und Gärten. Die neuen Räume sind minimalistisch, klar und ruhig gestaltet – ein starker Kontrast zum restlichen Bau. Geradezu poetisch: Der Vorhang aus feinen Metallketten vor den Panoramascheiben bietet einen Sichtschutz und bewegt sich elegant schimmernd in Wind und Sonne. Die Terrasse lässt auf Dachgärten und in Innenhöfe blicken, sowie in die Weite der umgebenden Charlottenburger Dachlandschaft.

Aus historischem Interesse am Ort beließen die Architekten eine der Zellen übrigens im Originalzustand. Ausgestellte Dokumente geben hier Einblicke in die vielschichtige Geschichte des Hauses. Das Strafgericht mit dem dazugehörigen Gefängnis wurden 1896 als freistehende Gebäude von den Architekten Adolf Brückner und Eduard Fürstenau errichtet. Anschließend dienten die unterschiedlichen Ensembleteile als Schöffengericht, Grundbuchamt und Gefängnis für Widerstandskämpferinnen. Heute hat das Haus ganz sicher Frieden mit seiner bewegten Vergangenheit geschlossen.