Flora Robotica: Interview mit Prof. Heiko Hamann

Roboterschwärme als Baumeister nachhaltiger Pflanzenarchitektur

Noch sind Smartphones oder Alexa und Siri unsere digitalen Assistenten. In Zukunft werden sie sich materialisieren – und uns als Roboter auch physisch zur Seite stehen. In Lübeck macht sich ein Forschungsprojekt Gedanken darüber, wie wir dann zusammenleben werden. Und wie Schwärme von Robotern dabei helfen könnten, unsere Städte architektonisch zu beleben. Dabei steht allerdings weniger die Koexistenz mit dem Menschen im Fokus, sondern die „biohybride Gesellschaft“ aus Robotern mit Pflanzen, die mit den Menschen in ein Kommunikationsnetzwerk tritt. Wir haben mit einem der Initiatoren des Projektes, dem Robotiker Professor Heiko Hamann gesprochen und uns erklären lassen, wie Roboter zu Baumeistern einer völlig neuartigen Pflanzenarchitektur werden.

Wie ist die Idee zum Projekt „flora robotica“ entstanden?
Ich habe als Robotiker mit Architektur und Design eigentlich weniger zu tun. Aber wir hatten uns zuvor sogenannte „mixed societies“ angeschaut, also Versuche, bei denen Roboter mit Lebewesen zusammenkommen. Es gab Projekte, in denen Roboter Kakerlaken mit Lockstoffen dirigierten. Ein Forscherteam unternahm Versuche mit Küken, die einem piepsenden „Mutterroboter“ folgten. Diese Sachen fanden wir spannend. Und irgendwann hatten wir dann die Idee: Warum machen wir das nicht mit Pflanzen? Das hat noch keiner gemacht.

War Architektur als Forschungsschwerpunkt von Anbeginn klar? Denn sie mussten ja sicher als Pionierprojekt erst einmal Grundlagenforschung leisten.
Wir sind tatsächlich Grundlagenforscher – aber auch die Grundlagenforschung braucht eine Anwendung. Es ist immer spannender, wenn man nicht ins Blaue forscht, sondern klare Ziele formuliert. Und uns ist natürlich das Zukunftspotential wichtig. Wir wollten die Roboter dazu nutzen, das Richtungswachstum der Pflanzen zu steuern. So kann man automatisiert beliebige Formen wachsen lassen, die auch eine Funktion haben. Und damit kamen wir auf die Architektur.

Können Sie uns einmal beschreiben, wie ein Roboter in ihrem Labor aussieht?
Wir haben versucht die Roboter möglichst klein zu halten. Sie sind etwas größer als eine Faust – und funktionieren wie ein kleiner Computer. Damit aus ihnen ein Roboter wird, brauchen wir Sensoren und Aktoren. Die Aktoren sind hauptsächlich unsere superhellen LEDs in Rot und Blau. Und dann haben wir noch Sensoren wie Abstandsmesser oder Feuchtigkeitsmesser. Wir programmieren das Resultat und der Roboter führt den Weg dorthin selbstständig aus.

Noch forschen Sie ja im Labor, nutzen künstliches Licht und haben keine Einflussfaktoren wie das natürliche Licht oder Wind. Wie kann das später im Stadtraum funktionieren?
Wir machen es uns erst einmal einfach und gehen in eine Art Dunkelkammer. Aber: Wir haben auch erste Versuche am Fenster gemacht und konnten die Pflanze trotzdem überzeugen, dass sie zum blauen Licht hin wächst. Wenn das Sonnenlicht über den Tag von allen Seiten kommt – und man hat an einer Stelle blaues Licht – dann reicht das als Einflussfaktor.

Derzeit arbeiten sie im kleinen Maßstab und mit statischen Installationen. Wie stellen Sie sich die Umsetzung in zukünftigen Projekten draußen vor?
Dazu gibt es verschiedene Ansätze. Kletterroboter sind natürlich logisch, aber die gehen beim jetzigen Stand noch über unsere Ressourcen hinaus. Dazu muss man ja erst einmal einen Roboter bauen, der sicher in einem Baum herumklettert. Aber das Schöne am Pflanzenwachstum ist ja, dass es relativ langsam ist. Wenn statische Roboter mal versetzt werden müssen, dann können sie das signalisieren und wir können ihnen einen neuen Standort geben.

In Kopenhagen arbeiten Sie mit sogenannten braided structures, einer Art Exoskelett für die Pflanze – welches Prinzip steckt dahinter?
Wenn man Kletterpflanzen nutzt, dann braucht man auch ein Klettergerüst – eben die braided structures. Unsere Vision für die nächsten fünfzig Jahre ist, dass wir es irgendwann einmal schaffen Häuser wachsen zu lassen. Wenn aber jemand mit dem Wunsch nach so einem Pflanzenhaus oder einem anderen architektonischen Artefakt auf uns zukommt, dann wären wir damit mehrere Jahrzehnte beschäftigt. So installieren Roboter automatisch die notwendigen Rankhilfen. Wir haben einen Flechtroboter entwickelt, der vor Ort die stützenden Strukturen mitwachsen lässt. Zusätzlich können unsere Roboterschwärme steuern, wo auf dem Gerüst die Pflanzen wachsen. Dadurch entsteht ein Hybridmaterial aus dem künstlichen, geflochtenen Material und den Pflanzen, die alles versteifen, wenn sie sich sich dort durchweben. Für Architekten ist besonders spannend, dass man Materialeigenschaften später noch verändern kann: Das Gebäude oder Bauwerk steht schon und dann kommt die Pflanze ins Spiel.

Wo werden sich Mensch, Pflanze und Roboter sich der Zukunft noch begegnen?
Der logische nächste Schritt ist, dass man erstmal in kleinen Skalen weiter arbeitet. Denkbar ist ein komplett integriertes System für Innenräume wie etwa Großraumbüros oder eine Lobbies, das die Pflanze genau dort wachsen lässt, wo sie gebraucht wird. Man muss nichts zurückschneiden oder wässern, alles läuft automatisiert. Auf den Stadtraum übertragen können Roboter selbstständig die grüne Infrastruktur steuern, das ist einerseits der Baum, der im Stadtpark steht, aber auch die Hausbegrünung oder gezielte Verschattung von Plätzen durch Pflanzen. Heute ist die städtische Begrünung mit Personalaufwand verbunden, mit unseren Ansätzen könnte man das automatisieren und grüne Oasen schaffen.

Mehr zum Projekt: www.florarobotica.eu
Autor: Tanja Pabelick / Bilder: flora robotica

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